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Ringen um die bestmögliche Lösung - 90 Jahre Barmer Theologische Erklärung
30.5.2024
Größtmögliche Freiheit. Das ist es, was der deutsche Staat den Religionsgesellschaften und damit auch den christlichen Kirchen zubilligt. Qua Grundgesetz, wo die Artikel 136 bis 139 und 141 regeln, wie das Land es hält mit der Religion. Nämlich so, wie es schon die Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 vorgesehen hat: Der Staat gibt der Kirche Raum, er mischt sich nicht ein, vorbehaltlich, die Kirche verstoße gegen geltende Gesetze, er schützt Sonn- und Feiertage, lässt zu, dass (bei Bedarf) religiöse Handlungen in Heer, Krankenhäusern, Straf- oder sonstigen öffentlichen Anstalten vorgenommen werden dürfen.
Bestmögliche Kooperation. Das ist der Anspruch des Subsidiaritätsprinzips, nach dem Staat und Kirche miteinander agieren, etwa wenn es darum geht, Bildungs- oder Fürsorgeeinrichtungen zu betreiben oder Religionsunterricht in staatlichen Schulen zu organisieren. Die Kirche unterstützt den Staat in der Gestaltung des Gemeinwesens; der Staat ermöglicht der Kirche, in der gesellschaftlichen Mitte sichtbar wirken zu können.
Auf landespolitischer Ebene gebe es mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip „etliche Kontaktflächen“, sagte Peter-Thomas Stuberg, der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Siegen-Wittenstein jetzt in der Evangelischen Erlöserkirche Neunkirchen-Salchendorf. „Das Verhältnis von Evangelischer Kirche und Staat heute“ war das Thema eines weiteren Vortragsabends im Rahmen der Reihe zum 90-Jährigen der Barmer Theologischen Erklärung von 1934. Diese entstand als Folge enormer staatlicher Einmischung in kirchliche Fragen. Die nationalsozialistische Diktatur schaltete mit der Machtübernahme Hitlers 1933 auch die Kirchen gleich, stieß aber mit der Formierung der Bekennenden Kirche durchaus auf Widerstand.
Stuberg gab in seinem einleitenden Statement seinen Eindruck weiter, dass sich „in letzter Zeit die Temperatur zwischen Kirche und Staat erheblich abgekühlt“ habe. Zwischen den Zeilen war vernehmbar, dass es ihm auch um finanzielle Zuschussfragen ging, etwa was die Finanzierung von Kindertagesstätten oder Schulen in kirchlicher Trägerschaft betrifft.
Nicht das Trennende, sondern was Staat und Kirche eint, hob im Anschluss der Gast aus dem politischen Düsseldorf hervor. In Vertretung der angekündigten NRW-Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung, Ina Scharrenbach, ließ sich deren Staatssekretär Daniel Sieveke auf einen Dialog ein, der aus beider Perspektiven zu ergründen suchte, wie sich Menschen (wieder neu) gewinnen lassen könnten: für die Demokratie, für ein Engagement im Gemeinwesen, für ein friedliches Miteinander in gegenseitiger Akzeptanz. Hoffnung mache ihm, dass sich Hunderttausende hätten bewegen lassen, um gegen rechtsextreme Umtriebe aufzustehen, so der Christdemokrat aus Paderborn.
Kirche als Gemeinschaft vieler Menschen sei ja auch Teil des Staats und werde „mehr denn je“ gebraucht. Auch was die seelsorgerliche Kompetenz angehe: „Als Politiker zeigen Sie nicht, dass Sie Sollbruchstellen haben.“ Schwäche zeigen? Fast unmöglich. „Sie wollen ja wiedergewählt werden ...“ Darum bat Sieveke darum, dass Kirche als Ansprechpartner „für Abgeordnete, die unter Druck geraten sind“, da sein möge. Zudem sei Kirche nötig, um „das Wertegerüst des Staates aufrechtzuerhalten“.
Das Gemeinsame griff Peter-Thomas Stuberg in seiner Hinführung zum anschließenden Austausch auf. Es sei deutlich geworden, dass Kirche und Staat gemeinsam Verantwortung trügen, gemeinsam auch in der Fürsorge für andere unterwegs seien. Es gelte, im Hören, Suchen und Ringen nach den besten Lösungen zu suchen.
Aber was, wenn man die Menschen einfach nicht mehr erreiche? – Die Frage von Pfarrer Jens Brakensiek war eine, die in der Diskussion von unterschiedlichen Seiten beleuchtet wurde. In Teilen des Plenums mitunter kritisch, auf dem „Podium“ insgesamt weniger resignativ. Kirche unterstreiche ihre Relevanz „an vielen kleinen Leuchtpunkten“, so der Superintendent. Sie sei „nicht kaputt zu kriegen, trotz aller Unkenrufe“, weil sie den Menschen dieses „Ich höre dir zu“ vermitteln könne. Wichtig sei, sich nicht in der je eigenen Blase einzurichten: „Das Bubble-Dasein vergiftet.“
Ins Gespräch kommen, im Gespräch bleiben, einen politischen Diskurs führen, durchaus in der Kontroverse – das war der deutliche gemeinsame Nenner bei dieser Begegnung von Kirche und Staat im Südsiegerland. Wohltemperiert auch dank einer wunderbar wärmenden musikalischen Begleitung von Bläser Wulf Hassel und Pianist Sebastian Strunk.
Claudia Irle-Utsch
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