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Perspektiven der Hoffnung: Das Kreuz im Lichte der Auferstehung
29.4.2024
von Anna Lena Schwarz
Impuls aus den "Martiniklängen", Ev. Martinikirche Siegen am 21.03.24
1. Auferstehung
Ganz früh, im Morgengrauen, sind wir gemeinsam unterwegs. Der Tau liegt noch auf den Blättern, die Luft ist noch angenehm kühl und frisch. Wir gehen zusammen zum Grab eines lieben Freundes. Gestern wurde er brutal umgebracht. Einige von uns waren dabei, haben es mit eigenen Augen gesehen. Das Entsetzen über das, was wir miterleben mussten, steckt uns noch tief in den Knochen, unsere Herzen sind schwer.
Wir haben ihn liebgehabt, haben viel mit ihm erlebt, teilweise wirklich Unglaubliches aber auch alltäglich Verbindendes. Wir sind gemeinsam gereist, haben zusammen gegessen, gelacht und geweint. Er war herzlich und einfühlsam, er konnte gut zuhören, sich aber auch gut streiten. Er hat sich oft nicht angepasst, hat klare Kante gezeigt gegen Ungerechtigkeit, vermeintliche Besserwisser und Gottversteher. Er hat sich unermüdlich für die eingesetzt, für die sich keiner interessierte, hat ein Auge gehabt für die Menschen am Rande der Gesellschaft, hat sich nicht abbringen lassen von seinem Weg, auch wenn ihn viele dafür kritisch beäugten oder sogar hassten. Er konnte gute Geschichten erzählen, hat viele zum Nachdenken angeregt. Er war besonders, er war anders, er war ein Weltveränderer, ein Revolutionär, ein Hoffnungsbringer.
Eine bessere Zukunft hat er uns versprochen – wir haben sie in ihm verkörpert gesehen und ihm geglaubt. Aber auch er hatte letztendlich nichts auszusetzen gegen die Mächtigen dieser Zeit, gegen die Ungerechtigkeiten und Leiden dieser Welt. Auch er war schließlich nur ein Mensch. Sein tiefes Gottvertrauen hat ihn am Ende nicht gerettet. Uns lässt er resigniert und frustriert aber vor allem in tiefer Trauer zurück. Er war noch so jung, hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Wir hätten so gern mehr Zeit mit ihm gehabt. Wir vermissen ihn. Warum gerade er? Das ist einfach nicht fair.
Da vorne liegt das Grab – gleich unter den großen Olivenbäumen. Die ersten Sonnenstrahlen berühren ihre Zweige und tauchen ihre Blätter in ein angenehmes, warmes Licht. Eine von uns, Maria heißt sie, war schon vorausgegangen. Plötzlich wird die fast schon andächtige Ruhe der Situation unterbrochen – angespannte Aufregung liegt in der Luft. Maria läuft uns weinend entgegen und ruft schon von Weitem: „Freunde, da stimmt was nicht. Das Grab ist leer. Er ist weg, einfach weg!“ (Geräusch!) Einigen unter uns stockt der Atem – Sprachlosigkeit macht sich unter ihnen breit. „Wie kann das sein? Was ist passiert?“ Andere suchen sofort nach rationalen Erklärungen: „Maria ist einfach endgültig verrückt geworden. Klarer Fall von Stressreaktion. Die Trauer der letzten zwei Tage kann ja auch nicht spurlos an ihr vorübergegangen sein. Halluzinationen sind da ganz normal.“ Andere, die das leere Grab mittlerweile mit eigenen Augen gesehen haben, sind einfach nur fassungslos und sauer: „Was soll sowas? Wer stiehlt einen Leichnam aus seinem Grab? Wie hemmungslos kann man sein? Hat denn niemand Respekt vor dem Toten und seinen Hinterbliebenen?“
Maria, die man noch bis vor ein paar Minuten immer wieder elendig schluchzen hören konnte, war plötzlich ganz still und andächtig geworden. Von ihrem Platz am Wegesrand hört man sie zunächst kaum wahrnehmbar und mit noch tränenden Augen in das große Chaos aus aufgebrachten Stimmen hinein sagen: „Was, wenn er von den Toten auferstanden ist? Was, wenn er wieder lebt?“ „Ach Maria, komm schon, was redest du da? Wir wissen, dass du es nicht leicht hast im Moment, aber wie kannst du nur so einen naiven Unsinn reden? Einfach unglaublich.“ Während unsere Gruppe damit beschäftigt ist, teilweise mit Gelächter, teilweise mit Zorn auf Marias Aussage zu reagieren, nähert sich uns aus der Ferne unbemerkt ein Mann. Der Friedhofsgärtner vielleicht? Plötzlich steht er mitten unter uns, mitten im Zentrum dieser aufgebrachten und angespannten Situation. Erst sieht ihn einer, dann eine weitere – nach wenigen Minuten ist alles still, alle schauen mit großen, ungläubigen Augen auf ihn. Er wiederum sagt nur einen einzigen Satz: „Maria, was weinst du? Wen suchst du?“ Sie springt auf, rennt zu ihm und ruft dabei „Rabbuni“ – das heißt Meister. Keiner von uns kann es glauben. „Wie kann das sein? Wir haben seinen Tod doch hautnah miterlebt? Zweifel ausgeschlossen! Aber er ist es wirklich, er ist tatsächlich auferstanden.“ Weinend, voller euphorischer Freude aber auch mit kribbelnder Gänsehaut fallen wir uns in die Arme. Jesus, ach Jesus, wir sind so froh dich wieder zu haben. Er drückt uns fest, trocknet unsere Tränen, beruhigt unsere aufgebrachten Gemüter. Wir können das alles in diesem Moment überhaupt nicht fassen – schon gar nicht, wie bedeutungsträchtig dieses Ereignis ist. Als sich alle wieder etwas beruhigt haben und wir gemeinsam im Kreis auf dem Boden sitzen, ergreift Jesus das Wort: „Meine Lieben, wie schön wieder bei euch zu sein – vermisst habe ich euch. Ihr habt sicher viele Fragen. Nicht alle kann ich heute beantworten und manche Erkenntnis braucht ihre Zeit. Eines möchte ich euch aber auf den Weg mitgeben, der euch in Zukunft erwartet. Und auch, wenn es zunächst vielleicht etwas kryptisch klingt, werdet ihr es mit der Zeit verstehen lernen: Ich bin’s – euer Gott. Ich war wirklich tot – jetzt aber lebe ich wieder und bin mitten unter euch. Warum ich gestorben bin? Für euch! Ich habe die Schuld der Menschen auf meine Schultern genommen, habe alles Leid, alle Ungerechtigkeit, alles Böse besiegt. Der Tod hat so seinen Stachel verloren, die Welt, sie wird unter meiner Herrschaft ein neuer, ein ganz anderer, ein gerechter, ein heilsamer Ort werden – das dürft ihr mir glauben, darauf dürft ihr vertrauen, dafür stehe ich mit meinen Namen: Christus, Kyrios, König, Herrscher aber auch Immanuel – der Gott mit euch. Ich herrsche nicht aus reiner Machtgier, sondern aus Liebe und zu eurem Wohl. Das ist mein unaufkündbares Versprechen an euch! Und jetzt kommt mal mit, ich will euch etwas zeigen.“
2. Das Kreuz im Lichte der Auferstehung
Zur Mittagszeit sind wir gemeinsam unterwegs. Die Sonne brennt, die Luft ist stickig und erdrückend. Wir stehen an einem trostlosen, kargen Ort vor den Toren unserer Stadt. Die Szenen, die sich uns präsentieren sind brutal und verstörend. Unser Freund, er hängt an einem Kreuz. Er ist schwer verwundet, er leidet, er ist im Begriff zu sterben. Es tut unglaublich weh, ihn so zu sehen. Wie gerne würden wir ihm helfen aber wir sind und fühlen uns einfach unglaublich hilflos. Und dann sind da auch noch die ganzen Menschen, die unseren Freund verspotten und über ihn lästern. „Seht ihr denn nicht, wie es ihm geht? Habt doch Mitleid!“ Es ist einfach unerträglich, das alles mitzuerleben. Die Welt, sie kann so grausam sein. Zu ihm – und auch zu uns. Wir fühlen uns erinnert an all das, was wir und andere schon erlebt haben und noch erleben werden: all der Schmerz, all das Leid, all die Ungerechtigkeit, Tod und Verderben. Die Welt, sie scheint ausweglos verloren – und wir mit ihr.
Unser Freund am Kreuz, er bringt sichtlich angestrengt und mit letzter Kraft einige Worte heraus. Wir müssen ganz nah an ihn herantreten, um ihn überhaupt zu hören. Mit gebrochener Stimme sagt er: „Ich mit leide mit euch, ich spüre, was ihr spürt, ich kenne eure Schmerzen und Ängste, eure Frustration und Verzweiflung!“ Sein Mitleid mit uns, es tröstet ein wenig. Es ist schön, noch einmal seine Stimme zu hören, es tut gut, trotz dieser schrecklichen Situation an seiner Seite zu stehen, es hilft zu wissen: wir sind nicht allein. Verhindern und wieder wirklich gut machen kann sein Mitgefühl die Schrecklichkeiten dieser Welt aber nicht – dafür sind sie zu real, zu präsent, zu mächtig. Und dann ist er plötzlich nicht mehr unter uns. Mit einem letzten „es ist vollbracht“ stirbt er. Die Welt hat ihn besiegt, der Tod ihn bezwungen. Schluss. Aus. Ende.
(Flüsternd:) „Ich bin auferstanden.“ „Hm?“ „Ich regiere in Liebe und Gerechtigkeit.“ „Habt ihr was gehört?“ „Ich werde triumphieren.“ Wir hatten in dieser scheinbar aussichtslosen Situation schon wieder vergessen, wer den Weg vom Grab zum Kreuz mit uns mitgegangen war. Der Auferstandene, er ist bei uns und stärkt uns den Rücken. Sein Flüstern, teilweise kaum vernehmbar und doch da, durchdringt die ohrenbetäubende Furcht. Der Schein seiner Auferstehung leuchtet hinein in die manchmal so bedrückend dunkle Realität unseres Lebens. Mal lauter, mal leiser. Aber selbst dann, wenn wir es mal nicht hören, sagt der Glaube: es ist dennoch und trotzdem wahr! Er ist wahrhaftig auferstanden! Er hat gesiegt! Er wird triumphieren!
Karl Barth hat es in einem Gespräch mit seinem Freund kurz vor seinem eigenen Tod einmal folgendermaßen gesagt „Es wird regiert.“
Und das heißt: „Ja, die Welt ist dunkel. [Aber] nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her! Gott sitzt im Regimente! Darum fürchte ich mich nicht.“[1]
Unser Freund und Gott Jesus Christus, er war, ist und wird ein Weltveränderer, ein Revolutionär, ein Hoffnungsbringer sein. Unsere Perspektive der Hoffnung, sie baut ganz auf ihn – auf das, was er schon getan hat, und in Zukunft tun wird, auf den triumphalen Sieg und die Vollendung seiner Liebe und Gerechtigkeit.
Er ist es auch, der uns immer wieder neu auf den Weg vom leeren Grab zum Kreuz führt, der uns zuflüstert: „du bist nicht allein“ und „alles wird gut“! Unsere Perspektive der Hoffnung, sie schaut mit Jesu Hilfe nicht allein auf den Karfreitag, sondern riecht dabei die österliche, frühlingshafte Luft, hört den Triumphgesang der Auferstehung, spürt die Wärme des göttlichen Siegs über den kalten, schonungslosen Tod, sieht die sprießenden Knospen des neuen Lebens am kahlen Baum – und das manchmal auch gegen den Augenschein, gegen das, was andere sagen, hier und da auch gegen jegliche Vernunft.
Der Glaube sagt uns: Unser Gott und Freund, er hat etwas, ja sogar alles, auszusetzen gegen die Mächtigen dieser Zeit, gegen die Ungerechtigkeiten und Leiden dieser Welt.
Und nur deshalb kann Karl Barth bekennen: „Wer die Osterbotschaft gehört hat, der kann nicht mehr die humorlose Existenz eines Menschen führen, der keine Hoffnung hat. Es gilt nur noch das, und nur das Eine ist wirklich ernst: Jesus ist Sieger. […] Mag es dahinten brennen – und wahrhaftig, es brennt – aber nicht auf das haben wir zu schauen, sondern auf das Andere: dass wir eingeladen sind und aufgerufen, den Sieg der Herrlichkeit Gottes in diesem Menschen Jesus ernst zu nehmen und uns seiner zu freuen. Dann dürfen wir in der Dankbarkeit leben und nicht in der Furcht.“[2]
Dazu kann ich nur sagen: AMEN!
[1] K. Barth, Gespräch mit E. Thurneysen vom 9.12.1968, in: ders., Gespräche 1964–1968 (GA IV), hg. von Eberhard Busch, Zürich 1996, 562.
[2] K. Barth, Dogmatik im Grundriss, Zürich 112013, 143.
Anna Lena Schwarz ist Doktorandin am Lehrstuhl für Systematische und ökumenische Theologie der Universität Siegen und arbeitet ehrenamtlich in der Ev. Studierendengemeinde Siegen mit.
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